Growth Hacking
Digitalstrategie

Growth Hacking: Was kann der Trend?

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Der Begriff „Growth Hacking“ macht schon seit einigen Jahren im Marketing seine Runden. Er verlockt mit dem Versprechen nach rasantem Wachstum und fasziniert mit seinem innovativem Flair.

Growth Hacking hat im Start-up-Bereich seinen Ausgang genommen und kommt weiterhin zum Einsatz, um Gründern zum Durchbruch zu verhelfen.

Dieser Sortlist-Artikel nimmt unter die Lupe, was hinter dem Begriff Growth Hacking steckt. Nach der Definition und dem Ursprung der Marketing-Methode schauen wir uns einige Unternehmen an, denen es gelungen ist, mit Growth Hacking rasant zu wachsen. Nach den Vorteilen werden wir auch auf die Nachteile des Trends eingehen.

Was ist Growth Hacking?

Definition

Um es kurzzufassen: Beim Growth Hacking geht es darum, Wege zu finden und zu nutzen, die ein Unternehmen schnell wachsen lassen. Oder anders ausgedrückt: Es geht darum, in einem sehr kurzen Zeitraum eine maximale Anzahl von Kunden zu gewinnen.

Ein Start-up ist per Definition ein neugegründetes Unternehmen mit einer innovativem Geschäftsidee und hohem Wachstumspotenzial aber ohne Geschäftsmodell. Geld ist in diesem Kontext eine besonders wertvolle Ressource. Auch weil sich viele Start-ups aufgrund des hohen finanziellen Risikos nicht für klassische Unternehmenskredite qualifizieren.

Ein Start-up steht also vor zwei maßgeblichen Einschränkungen:

  • Dem Mangel an finanziellen Ressourcen und
  • der Notwendigkeit, so viele neue Kunden so schnell wie möglich zu finden, um anschließend ein Geschäftsmodell zu finden, was wiederum ermöglicht, den Break-even-Punkt zu erreichen.

Daher liegt es auf der Hand, dass bei Growth Hacking keine teuren Werbekampagnen infrage kommen. Ziel ist es, mit so wenig Ausgaben wie möglich einen maximalen Nutzen zu generieren. In diesem Kontext wirkt Growth Hacking schnell wie eine Wunderlösung: mit geringsten Kosten zur maximalen Anzahl an Neukunden.

Wunder oder Glück?

Wie eben erwähnt, eilt dem Begriff „Growth Hacking“ ein verheißungsvoller Ruf voraus. In der kurzen Geschichte der Growth Hacks gibt es tatsächlich einige überwältigende Erfolgsgeschichten, die sich mit innovativem und quer gedachten Marketing-Ideen aus dem WG-Zimmer auf den Weltmarkt katapultiert haben.

Wunder waren das aber allesamt keine. Auch schieres Glück war bei den meisten Growth Hacking-Erfolgen nicht ausschlaggebend. Viel eher hat Erfolg im Growth Hacking in einer gekonnten Datenanalyse zu tun.

Growth Hacker sind also kein Schamanen, die über Nacht eine Lösung für schlechte Absatzzahlen finden und die Firmen-Statistiken mit einem Handgriff in die richtige Richtung drehen können. Ein erfolgreicher Growth Hacker arbeitet viel eher wie ein Forensiker. Er erforscht und analysiert Indizien bis ihm der Durchbruch gelingt.

In der Praxis bedeutet das oft, dass ein Growth Hacker viele Dinge ausprobieren. A/B-Tests werden selbst dann noch weitergeführt, wenn der richtige Weg bereits gefunden zu sein scheint und Wachstum schon generiert wird. Growth Hacker suchen ähnlich wie Goldgräber oft monatelang nach einer erfolgversprechenden Ader. Und wenn die Goldader gefunden ist, fängt die eigentliche Arbeit erst richtig an.

Dazu kommt, dass ein erfolgreicher Growth Hack keine unbegrenzte Lebensdauer hat. Ein Growth Hack muss, sobald er Resultate liefert, so rasch wie möglich abgeschöpft werden. Genauso wie eine Ader in einer Goldmine liefert auch eine Growth Hack nur für einen begrenzten Zeitraum Rendite. Sobald dieser Hack erschöpft ist, muss der Growth Hacker einen neuen Weg finden, um das Wachstum seines Unternehmens zu fördern.

Um mehr über Growth Hacking in der Praxis zu erfahren, schauen wir uns einige erfolgreiche Unternehmen im Detail an.

5 Beispiele für Growth Hacking

Hotmail und iPhone

Das erste Beispiel, das mir zum Thema „Growth Hacking“ einfällt, stammt aus dem Buch „Traction: How Any Startup Can Achieve Explosive Customer Growth“ von Gabriel Weinberg und Justin Mares.

Die Marken Hotmail und iPhone setzten beziehungsweise setzen auf ähnliche Methoden. Mit einem E-Mail-Marketing-Trick, der den Unternehmen keinen einzigen Euro an Werbekosten kostete, ist es ihnen gelungen, deutlich mehr Sichtbarkeit zu erlangen und ihren Bekanntheitsgrad signifikant zu steigern.

Als Hotmail, der E-Mail-Provider von Microsoft, auf den Markt kam, wurde am Ende aller versandten E-Mails die folgende Nachricht automatisch angehängt: „Holen Sie sich ein kostenloses E-Mail-Konto bei Hotmail – Jetzt anmelden.“ Das führte dazu, dass jede mit Hotmail gesendete Nachricht automatisch Sichtbarkeit für den Dienst erzeugte, ohne dass Microsoft dafür extra zahlen musste.

Apple setzt seit dem Start des iPhones auf genau diesen E-Mail-Marketing-Trick. An jede von einem iPhone versendete E-Mail wird automatisch der Satz „Von meinem iPhone gesendet“ drangehängt. Auch heute noch, wo Apple den Smartphone-Markt dominiert, wird diese Nachricht mitgeschickt. Konkret bedeutet das, dass das Produkt iPhone bei jeder Benutzung automatisch Sichtbarkeit für die Marke Apple generiert.

Agricool

Das nächste Beispiel stammt aus der Pariser Start-up-Szene. Agricool hat eine sehr ehrgeizige Mission: Es will die Landwirtschaft in die Städte holen. Statt langer Transportwege und Lagerzeiten sollen beliebte Obst- und Gemüsesorten direkt in Großstädten angebaut und verkauft werden. Ziel ist es, bis zu 10 verschiedene Sorten in jeder Stadt anzubauen.

Growth Hacking half Agricool zum Erfolg

Agricool begann mit der Produktion von Erdbeeren in eigens entwickelten Behälter. Um Wachstum zu erzeugen und seinen Bekanntheitsgrad zu steigern, setzte Agricool auf die Ungeduld der Konsumenten. Kurz nachdem das Start-up gegründet wurde, hatten Kunden die Möglichkeit, Erdbeeren direkt auf der Website von Agricool zu bestellen. Allerdings wurden sie dadurch aber auf eine Warteliste gesetzt, weil die Erdbeeren noch gar nicht angebaut und schon gar nicht reif waren.

Kunden auf der Warteliste bekamen aber die Möglichkeit, ihren Listenplatz zu verbessern, um schneller an Agricool-Erdbeeren zu kommen. Und wie war das möglich? Je mehr Freunde ein Kunden davon überzeugte, bei Agricool Erdbeeren zu bestellen, desto besser wurde seine Platzierung auf der Warteliste.

Das Start-up richtete also eine Beschränkung – die Warteliste – ein und gab den wartenden Kunden die Möglichkeit, diese Beschränkung zu umgeben – durch das Einladen von Freunden. So generierte Agricool Wachstum und konnte seine Sichtbarkeit steigern. Agricools Vorgehen war ein innovativer Ansatz, den Hype um das neue Produkt auszunutzen und möglichst viel daraus zu machen.

Blendtec

Dieses Beispiel stammt aus dem Buch „Contagious – Why Things Catch On“ von Jonah Berger.

In diesem Buch bespricht der Autor den Fall Blendtec, eine Firma, die elektrische Mixer verkauft. Auf den ersten Blick ist es nicht einfach, Begeisterung für ein recht ordinäres Haushaltsprodukt auszulösen.

Blendtecs Geniestreich war es, sich auf die Leistungsfähigkeit seiner Geräte zu konzentrieren – und zwar auf beeindruckende Art und Weise. Auf einem eigens ins Leben gerufenen YouTube-Kanal mit dem Titel „Will it blend?“ testete das Unternehmen seine Mixer, allerdings nicht mit Bananen und Karotten. Alles mögliche wurde in den Blender geworfen. iPads und iPhones machten da keine Ausnahme.

Selbst Jahre später, nachdem der Kanal schon lange nicht mehr bespielt wird, erreicht er immer noch ein Publikum von mehr als 800.000 Abonnenten. Das zeigt, wie ein neuer Kontext für ein altbekanntes Produkt dazu beitragen kann, dass sich ein Produkt plötzlich von der Konkurrenz abhebt und eine Fangemeinde erreicht.

Clubhouse

Clubhouse ist ein Social Media Start-up aus dem Silicon Valley, das mittlerweile über 100 Millionen Dollar wert ist. Das soziale Netzwerk ermöglicht es seinen Nutzern, mit anderen Usern zu interagieren, ohne dabei einen Bildschirm zu benutzen. Der Growth Hack von Clubhouse spielt mit der Fear Of Missing Out, also der Angst, etwas zu verpassen. Ziel war es, den Wert des Unternehmens und die Zahl der potenziellen Nutzer zu steigern.

Heute haben nur 1500 Menschen Zugang zu dem sozialen Netzwerk. Darunter befinden sich Prominente wie der US-Schauspieler Kevin Hart. Mitglied im exklusiven Kreis kann man nur auf Einladung werden. Die Beschränkung des Zugangs und das Erstellen von Wartelisten scheint sich als Weg zu etablieren, um einen Hype zu kreieren und potenzielle Kunden zu rekrutieren.

Ein letztes Beispiel

Nicht alle Growth Hacks laufen immer 100%-ig legal ab. Ein belgisches Start-up, das sich mit besonders billigen Fahrstunden positionieren wollte, ist so ein Fall. Das Unternehmen verschaffte sich die E-Mail-Adressen von 15.000 Studenten einer Universität südlich von Brüssel. Eine E-Mail später wusste die ganze Uni über das Angebot Bescheid, die Universitätsverwaltung inklusive.

Die Kehrseite des Growth Hacking

Schlagzeilen von Fundraising-Runden, in denen astronomische Summen erzielt werden und Börsengänge in Milliardenhöhe kurbeln Erwartungen unter Start-up-Unternehmern an. Das führt manchmal dazu, dass Jungunternehmer mehr Zeit mit Wachstumsträumen und Growth Hacking verbringen, als sich um die Rentabilität des Unternehmens zu kümmern.

Ein Einhorn zu werden, also ein Unternehmen, das vor dem Börsengang eine Marktbewertung von über 1 Milliarde Euro hat, ist der Traum vieler Gründer. In Deutschland gelang das unter anderem der Online-Bank N26, dem Lieferunternehmen HelloFresh oder dem Pharmaunternehmen CureVac.

Wachstum zu generieren und eine große Anzahl von (potenziellen) Kunden zu rekrutieren, ist essenziell für neue Unternehmen. Allerdings muss ein Start-up in der Lage sein, dieses Wachstum aufrechtzuerhalten und über die Infrastruktur verfügen, dieses Wachstum auf nachhaltige Weise zu tragen.

Nach dem Aufstieg kommt der Fall

Save wurde in Frankreich 2013 als Start-up-Unternehmen gegründet, das sich auf die Reparatur von Smartphones spezialisiert. Bereits 2015 erzielte Save bemerkenswerte Erfolge, die aber nicht von langer Dauer waren. Nach Investments in der Höhe von 15 Millionen Euro, der Eröffnung mehrerer Tochtergesellschaften im Ausland und der Einstellung duzender neuer Mitarbeiter wurde das Unternehmen schließlich in einem Insolvenzverfahren verkauft.

Die ständige Expansion verschlang Unsummen und trotz eines beeindruckenden Wachstums konnte das Unternehmen den Break-even-Punkt nicht erreichen. Im Zuge des Insolvenzverfahrens musste das Unternehmen ein Drittel seines Personals entlassen und etwa 40 Verkaufsstellen schließen.

Save ist zwar nur ein Beispiel und einigen Start-ups gelingt es tatsächlich, dank Growth Hacking langfristig erfolgreich zu sein. Trotzdem sollten sich Gründer nicht vom schnellen Erfolg anderer blenden lassen.

Kamele statt Einhörner

Viele Unternehmer sind sich dieses Phänomens bewusst. Sie bevorzugen ein langsameres, aber stabiles Wachstum und versuchen nicht, so schnell wie möglich und mit jedem Mittel ein Einhorn zu werden.

Statt viel Geld zu verbrennen und sich ausschließlich darauf zu konzentrieren, Kunden zu akquirieren, konzentrieren sich diese Unternehmer auf die Rentabilität. Mit einem klaren Ziel: Statt Einhörnern wollen sie Kamele werden. Diese Nutztiere sind höchst anpassungsfähig, können wochenlang ohne Nahrung und Wasser überleben und, wenn nötig, für kurze Zeit sprinten. Während Einhörner Fantasiewesen sind, sind Kamele real und können dank ihrer Widerstandsfähigkeit unter sehr schwierigen Bedingungen überleben.

Start-ups vom Typ Kamel stellen die Rentabilität und damit das Überleben an erste Stelle, indem sie ein besseres Gleichgewicht zwischen Wachstum und Cash-Flow fördern.

Fazit

Meiner Meinung ist die richtige Strategie eine Frage des Gleichgewichts. Growth Hacking hat den Vorteil, dass es innovativ und einfallsreich ist und nach neuen Lösungen sucht. Falls ein Unternehmer tatsächlich eine Goldader findet, die er abschürfen kann, kann diese wirklich den entscheidenden Unterschied ausmachen, der ein Unternehmen zum Wachstum verhilft.

Gleichzeitig ist es wichtig, mit beiden Beinen auf dem Boden zu bleiben und nicht Wachstum auf Kosten der Rentabilität zu erzeugen. Das Beispiel von Save zeigt, dass beeindruckendes Wachstums alleine keine Erfolgsgeschichte schreibt. Der Idealfall scheint also ein Mix zu sein aus einer wohltuenden Dosis „Growth Hacking“ mit einem Fokus auf Rentabilität.

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